Edition 5 Erstfeld

Wer kauft denn sowas?

Viel ist schon geschrieben worden zu und über die verdienstvolle Arbeit von Ruth und Jürg Nyffeler an der Edition 5, dieser kleinen, feinen, skulpturalen Enzyklopädie von Schweizer (und nicht nur Schweizer) Kunst im Kleinformat!

Es liegt natürlich nahe, sich angesichts dieser Edition, die in einer Auflage von je fünf Multiplen erscheint und dabei so unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler wie den „Altmeister“ Franz Fedier (1922-2005) und die international renommierten Leiko Ikemura (* 1951) mit aufstrebenden „Jungspunden“ wie Sara Masüger (* 1978) oder dem Künstler/innenduo Flurina Badel (* 1983) und Jérémie Sarbach (* 1991) verbindet, über Kunst und Künstler nachzudenken. So sind denn auch schon zahlreiche Reflexionen über das Phänomen der Edition im Allgemeinen, über die Bedeutung des multiplizierten Kunstwerks im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit und über die Edition 5 als Kunstinstitution im Besonderen geschrieben worden. Andere Texte reflektieren den eigenen Besitz eines Multiples aus dieser Edition oder erzählen von der Begegnung mit Editorin und Editor. Schliesslich umspielen essayistische, belletristische und poetische Texte den Gegenstand nur und öffnen den Blick eher, als dass sie ihn auf einen bestimmten Aspekt fokussierten.

Was bleibt da, fragt sich der geneigte Autor, denn noch zu sagen? Aber halt, hat denn eine oder einer sich schon mal gefragt, wohin all die rätselhaften und klugen, irritierenden und witzigen Objekte gehen, die aus der Werkstatt der Edition 5 kommen? Wer ist das Publikum für die Erstfelder Kunstproduktion?

Kaufen zum Beispiel nur Liebhaber von Oscar Wilde und Richard Strauss Caro Suerkampers Variation auf die blutig endende Liebesgeschichte zwischen der judäischen Prinzessin und dem abweisenden Propheten? Werden wir Barbara Mühlefluhs goldene, ausbalancierte Pille vor allem in den Firmensammlungen der grossen Schweizer Pharmakonzerne finden? Erwerben Vogelliebhaber René Zächs unbetiteltes Objekt, bei dem aus einem Bundesordner ein Heim für die gefiederten Freunde geworden ist? Und werden Landwirte Christian Eisenbergers unbetiteltes, Schneidermeister Marion Baruchs „Abbraccio“ und Instrumentenbauer Simon Ledergerbers „Zwischen“ dieses Jahr auf dem weihnachtlichen Gabentisch vorfinden? Nathalie Bissigs „5-Linge“ hingegen eignete sich für Evolutionsbiologen wie für eine fünfköpfige Bankräubergang gleichermassen, während Maria Ceppis „BrosSolo“ Zahnmediziner erfreuen könnte und René Zächs The Triangle/The Square Vinylenthusiasten in Verzückung geraten lassen dürfte. Mirko Baselgias „Family“ wird Familientherapeuten zum Rätseln bringen und Liddy Scheffknechts NOW Zen-Jünger ganz im Jetzt sein lassen, während Andrea Muheims Reisealtar sich für wenn schon nicht christlichen, so doch zumindest spirituell interessierten Geschäftsreisenden in einsamen Hotelnächten gute Dienste leisten wird.

Wir werden es wohl nie erfahren! Doch eines wissen wir: Wer auch immer ein Werk aus der Edition 5 erwirbt, dem oder der geht es nicht um das Originalwerk um des schnöden Mammons willen, der aktuell auf dem Kunstmarkt immer skurrilere Blüten treibt. Vielmehr sucht er oder sie die geistige Anregung durch Irritation, Witz oder auch Schönheit - das, was gute Kunst jenseits von kostbaren Materialien und virtuoser Handwerkskunst eben ausmacht!

Heinz Stahlhut

April 2022