Edition 5 Erstfeld

modulor 3

John Armleder

modulor 3
Bild vergrössern

Reliefplatten PVC, Holz
60 x 60 x 10 cm
2000
Vergriffen

modulor 3

John Armleder

Reliefplatten PVC, Holz
60 x 60 x 10 cm
2000
Vergriffen

Ein perfektes Gegenüber

Seit einer ganzen Weile schon habe ich einen Mitbewohner. Er verfügt über ein paar ganz nette Eigenschaften. Er ist äusserst anpassungsfähig, und meine letzten drei Umzüge hat er getreulich und ohne jedes Murren mitgemacht. Am neuen Ort hat er sich dann jeweils ganz schnell eingelebt. Man könnte sagen, dass er die besondere Gabe besitzt, das jeweilige Lokalkolorit sofort anzunehmen. Nicht, dass Sie jetzt meinen, er hätte eine schwache Persönlichkeit. Im Gegenteil, mein Mitbewohner verfügt über eine ziemlich stabile Konstitution. Er verändert sich und bleibt dabei doch immer der Gleiche. Er ist das, was man einen verlässlichen Kumpel nennt. Einer schlechten Laune meinerseits begegnet er ausnahmslos mit grösster Gelassenheit, und selbst wenn das Wetter trübe ist, verliert er nicht an Glanz. Sein Auftritt ist von unvergleichlicher Eleganz, und ich habe mehr als einmal beobachtet, wie ihm einer meiner gelegentlichen Gäste einen begehrlichen Blick zuwarf. Dass die Männer von ihm jeweils ebenso angetan sind wie die Frauen, scheint meinen Hausgenossen nicht weiter zu stören. Er weiss, schmeichlerische Annäherungen stehen im vorzüglich. Das einzige, was ich meinem Freund hin und wieder vorzuwerfen versucht bin, ist seine Abgeklärtheit. Nur, so schlimm, dass ich mir ernsthaft Sorgen machen müsste, kann es nicht sein. Denn, Coolness, so habe ich kürzlich in einem Magazin gelesen, sei eine Haltung, die es ermögliche, mit der gesellschaftlichen Kälte zu leben, statt in ihr zu erfrieren. Mein Wohngenosse bewegt sich also auf der Höhe der Zeit, und er hat Eigenschaften angenommen, die ihm, angesichts doch eher düsterer Zukunftsprognosen, auch in den kommenden Jahren eine stilvolle Existenz garantieren. Dies bedeutet auch, dass man sich nie für ihn schämen muss. In seinem von der Mode der siebziger Jahre geprägten Äusseren schwingt ein Hauch Klassik mit. Dieser ist zeitlos genug, dass es auch über das aktuelle Revival hinaus Bestand haben wird. Ganz anders als für die übrigen Bewohner meines Haushaltes, mich selber natürlich eingeschlossen, ist das Älterwerden also kein Thema, mit dem er sich ernsthaft herumzuschlagen hätte.

Vielleicht ahnen Sie es schon, mein perfekter Freund spiegelt zwar Menschliches, ist aber ein Objekt. Ein Multiple aus der Hand von John Armleder, das den interessanten Namen Modulor trägt. Mein Modulor besteht aus einer verspiegelten PVC-Platte, die auf ein Chassi aus Holz montiert wurde. In vier Rundungen gepresst gibt sie das jeweilige Ambiente in interessanter Verzerrung wieder. Kein Quäntchen bunter als seine Umgebung fügt sich der Modulor überall ein, ohne die Einrichtung und andere Kunstwerke zu konkurrieren. Ein banaler, dekorativer Gegenstand, würden kritische Zeitgenossen sagen, den es in ähnlicher Form, jedoch ohne das hölzerne Chassi, auch bei einem Schwedischen Einrichtungshaus zu kaufen gibt. Tatsächlich hat mich dies eine Weile, bedenkt man den Preisunterschied, mächtig irritiert. Zumal die deutlich sichtbare Holzlattenkonstruktion nicht einmal besonders hübsch ist. Nur, in diesem Bruch mit dem rein Dekorativen liegt die Differenz, der kleine, aber feine Unterschied. Mit dem hölzernen Träger verhält es sich tatsächlich wenig anders, als vor einer Weile mit der Unterwäsche. Man liess sie unter der Hose hervorblitzen und zwar mit der Absicht, mit dem (natürlich) edlen Label ein Bekenntnis abzugeben. In unserem Fall bedeutet das, dass die Trägerkonstruktion, auf der die gepressten Spiegelplatten befestigt sein, das glamouröse Dekorteil in den Bereich der Kunst transferiert. In einen ideell geprägten Bereich also, wo Selbstreflexion und Erkenntnis einen wesentlichen Teil des Spiels ausmachen. So moduliert der Modulor meinen Lebenskontext, er spielt mit meinen Stimmungen, er verzerrt und ironisiert. Er ist ein intimes Gegenüber und zugleich ein anspruchsvolles Kunstwerk, das auf die jahrhundertealte Tradition der Malerei anspielt, und ihr ein neues, in seiner Wandelbarkeit zeitloses Gesicht verpasst. Ob von tiefsinniger oder banaler Aussage, das hängt einzig und allein von den Menschen ab, die beschliessen, einen Modulor bei sich aufzunehmen und zu einem schillernden Chronisten ihres Lebens zu machen.

Claudia Spinelli, Februar 2002